Eine Frau, die vor fast 20 Jahren des Mordes verdächtigt wurde, will nun Influencerin werden und ironischerweise Justiztipps geben.

Casey Anthony, die 2008 noch wegen Mordverdachts vor Gericht stand, will nun auf TikTok anderen Leuten bei Justizfällen helfen.
Der Fall Caylee Marie Anthony
Verlauf des Falls
Der Fall der zweijährigen Caylee Marie Anthony bewegte 2008 die USA. Das Mädchen wurde am 15. Juli 2008 als vermisst gemeldet, nachdem ihre Großmutter Cindy Anthony die Polizei alarmierte. Ihre Mutter, Casey Anthony, hatte über Wochen widersprüchliche Aussagen über den Verbleib ihrer Tochter gemacht und schließlich behauptet, Caylee sei von einer Nanny entführt worden.
Am 11. Dezember 2008 wurden Caylees sterbliche Überreste in einem Waldstück nahe dem Haus der Familie entdeckt, verpackt in einen Wäschesack mit einer Decke. Die genaue Todesursache konnte nicht festgestellt werden, doch die Behörden gingen von einem Tötungsdelikt aus.
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen Mordes ersten Grades und forderte die Todesstrafe für Casey Anthony. Sie argumentierte, Casey habe ihre Tochter getötet, um ein ungebundenes Leben zu führen. Die Verteidigung widersprach und behauptete, Caylee sei in einem Unfall ertrunken, woraufhin Caseys Vater George Anthony den Leichnam entsorgt habe.
Nach einem aufsehenerregenden Prozess wurde Casey Anthony am 5. Juli 2011 vom Mordvorwurf freigesprochen. Sie wurde lediglich wegen Falschaussagen gegenüber der Polizei für schuldig befunden und am 17. Juli 2011 aus der Haft entlassen.
Wahrscheinliches Fehlurteil

Das Urteil sorgte für große Kontroversen in der Öffentlichkeit, da Caseys notorische Lügen sie alles andere als unschuldig aussehen ließen. Zusätzlich gab es grobe Nachlässigkeit seitens der amerikanischen Justiz - die Polizei wurde bereits Monate vor dem Fund, im August, von Caylees Überresten gerufen, ermittelte nur halbherzig und fand den Leichnam erst nach dem dritten Anruf durch einen Ortsansässigen.
Die Entscheidung der Jury vor Gericht stieß ebenfalls auf Kritik, da sie viele Beweise zu ignorieren schien. Experten sagten aus, dass im Kofferraum von Caseys Auto Spuren von Chloroform und menschlicher Zersetzung festgestellt wurden. Ein Software-Spezialist berichtete zunächst von 84 Internet-Suchanfragen nach "Chloroform", korrigierte dies aber nach dem Prozess auf eine einzige Suche, da sein Software-Auswertungsprogramm fehlerhaft gewesen sei. Zudem behauptete ein FBI-Analyst, eine Haarprobe aus Caseys Auto weise Merkmale eines postmortalen Zustands auf.
Die Verteidigung stellte viele dieser Beweise infrage. Ein Gerichtsmediziner kritisierte die Autopsie als unzureichend und erklärte, die Todesursache sei nicht eindeutig. Caseys Mutter Cindy Anthony übernahm die Verantwortung für die vermeintliche Internetsuche nach Chloroform, während eine Zeugin behauptete, eine Affäre mit George Anthony gehabt zu haben, und angab, dieser habe Caylees Tod als „einen Unfall, der außer Kontrolle geriet“ bezeichnet.
Nach wochenlangen Zeugenaussagen und der Präsentation von 400 Beweisstücken rief die Verteidigung insgesamt 47 Zeugen auf, während die Anklage 59 Zeugen präsentierte. Casey Anthony selbst sagte nicht aus, ihrem Anwalt Jose Baez, der übrigens auch Harvey Weinstein vor Gericht vertrat, wurde aber vorgeworfen, die Jury emotional manipuliert zu haben, was letztendlich zu dem Urteil "unschuldig" führte.
Es wird weitverbreitet angenommen, dass Casey ihre Tochter ermordet hat und fälschlicherweise freigesprochen wurde. Ihr neuer Social Media-Kanal wurde dementsprechend nicht freudig willkommen geheißen.
Karriere als Influencerin

Casey Anthony trat im März 2025 erneut in die Öffentlichkeit, auf einer Social Media-Plattform. In einem dreiminütigen TikTok-Video bezeichnete sie sich als „Forscherin und juristische Fürsprecherin“ und sagte aus, dass sie sich seit 2011 im Rechtsgebiet bewegt - lässt dabei aber aus, dass der Grund dafür Mordverdacht war.
„Wenn ich weiterhin als juristische Fürsprecherin arbeiten will, muss ich auch für mich selbst und meine Tochter eintreten [Übersetzung]“, sagte Anthony in dem Video. Ihr Ziel sei es, Menschen eine Stimme zu geben und ihnen Ressourcen an die Hand zu geben.
Zusätzlich warb sie für ihren Substack-Newsletter und kündigte an, künftig per E-Mail mit ihren Followern über ihre juristische Arbeit zu kommunizieren.
Ihr Video wurde weitestgehend kritisch empfangen, woraufhin sie ein weiteres Statement postete. Hier ist eine Übersetzung ihrer Aussage:
„Die Unschuldsvermutung ist ein heiliges Recht, das allen Personen zusteht, die in diesem Land verhaftet werden. Das ist keine Meinung, sondern eine Tatsache. Wir sind geplagt von vorschnellen Urteilen, noch bevor jemand auch nur einen Fuß in den Gerichtssaal gesetzt hat. Sobald jedoch ein Urteil gesprochen wird – egal, wie lange der Prozess dauert –, muss die Öffentlichkeit darauf vertrauen, dass das System so funktioniert hat, wie es vorgesehen ist.
Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten. Ihr, die allgemeine Öffentlichkeit, werdet NIEMALS alle Fakten eines Falls kennen. Die Medien werden euch niemals die volle Wahrheit sagen. Sie werden euch sagen, was ihr denken und wie ihr euch fühlen sollt.
Bildet euch selbst weiter. Hört auf, Hass zu verbreiten.
Wenn ihr morgen aufwachen und verhaftet werden würdet, eines Verbrechens beschuldigt, das ihr nicht begangen habt – oder wenn es jemandem passieren würde, der euch nahesteht –, würdet ihr dann nicht wollen, dass ihr/sie fair und gerecht behandelt werdet?
Es ist nicht so kompliziert.“ - Casey Anthony
Allerdings erntete auch dieser Post kein positives Feedback, sondern Kommentare wie diese:
Du hast 31 Tage gewartet. Du hast ein Kindermädchen beschuldigt, das nicht einmal existierte. Sie fanden Spuren deiner Tochter in deinem Auto. Nur weil du das System ausgenutzt hast, bedeutet das nicht, dass du unschuldig bist. Caylee ist unschuldig. - kaylimarie07 auf TikTok
Du hast 31 Tage gewartet. Schuldig oder nicht, du hast versagt. - nerfgunsandmessybuns2 auf TikTok
Seit ihren drei Posts am gleichen Tag, an dem sie den Kanal offiziell vorstellte, hat Casey Anthony nichts mehr gepostet. Ob sie nach dem extrem negativen Feedback mit ihrer Karriere als Influencerin und juristische Fürsprecherin weitermachen wird, bleibt offen.
Sollte es ihr überhaupt erlaubt sein, einen kommerziell profitablen und werbenden TikTok-Account zu haben?