Die Swifities sind alle der Meinung, dass das neue Album schlecht ist... oder wirkt das doch nur so auf den ersten Blick?

Eigentlich wollte ich sowas schreiben wie “Falls ihr nicht unter einem Stein lebt, kamt ihr nicht umhin mitzubekommen, dass Taylor Swift ein neues Album rausgebracht hat”, allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass die Promo zu “The Life of a Showgirl” auch durch sämtliche Sedimentschichten, verdunkeltes Panzerglas und sogar verstärktes Blei gedrungen ist. Darum: Ja, ihr alle wisst, dass die Swifties zurück sind.
Allerdings wohl nicht ganz sooo zurück, wie man meinen könnte, denn keine Stunde nachdem TLOAS auf allen gängigen Streaming-Plattformen erhältlich war, flatterten die ersten Meinungen von überall her ein. YouTube, TikTok, Reddit, Twitter: Alles war voll von ersten Einschätzungen, Bewertungen und vor allem Kritik an Taylor Swift.
Eine unpoetische, rassistische Zicke?
“Nicht poetisch genug”, “zu wenig depri” und “ein reines Pop-Album, weit weg von dem, wofür die Eras-Tour stand” hieß es da immer wieder. Die einen witzelten, dass Taylor sich diesmal besonders schlichter Reimschemata bedient hatte, damit auch ihr Verlobter Travis Kelce, seines Zeichens Tight End bei den Kansas City Chiefs, die Texte verstehen könnte, die anderen warfen ihr sogar Rassismus vor, weil die Exfreundin Kelces Kayla Nicole Afroamerikanerin sei und die Zeile “Sleepless in the onyx night / But now, the sky is opalite” angeblich auf ihre Hautfarbe anspielen würde.
Auch bei anderen Beefs und zwischenmenschlichen Beziehungen Taylor Swifts glauben die Kritiker gänzlich im Bilde zu sein und sehen den Diss-Track “Actually Romantic” an die britische Singer-Songwriterin Charli XCX als fiesen Angriff an – besonders unfair soll dabei gewesen sein, dass die beiden bisher vermeintlich Freunde gewesen wären, Charli zuvor sogar ihre Bewunderung und Neid für Taylor ausgedrückt hätte.
Ist das Album also ein Flop?
Nun ja, das unterschreiben so sicherlich bei weitem nicht alle Swifties.
Ein Album, das atmen muss, wie ein guter Wein
Für viele ist klar, dass das neue Album einer Künstlerin, die dafür bekannt ist, in ihren Liedern, Alben, Promoaktionen, Interviews und Live-Auftritten zahlreiche Easter Eggs, geheime Botschaften und Metaebenen zu verstecken, nicht nach dem ersten Hören verstanden werden kann.
Wie auch die Werke anderer MusikerInnen muss ein solches Album wirken, der Eindruck sich setzen. Eine vollständige Analyse eines Albums mit 41 Minuten Laufzeit nur eine Stunde nach Veröffentlichung posten zu können, wirkt da ein wenig übereilt. Andererseits will natürlich jede:r der oder die Erste sein mit einer Analyse zu TLOAS – und im besten Fall mit einer besonders kontroversen Meinung, mit der man auffällt. Und was könnte kontroverser sein, als ein Swiftie, der plötzlich davon redet, dass Mama-Taylor den neuen Release so richtig in den Sand gesetzt hat?
Das Internet als Filter, der alles größer, lauter, aggressiver und krasser macht, als es eigentlich ist, tut sein Übriges und macht aus einem Musikwerk, das gerade erst veröffentlicht wurde, eine absolute "Katastrophe."
Dabei sehen Fürsprecher des Albums aber nicht nur die Kritik als überzogen, sondern teilweise als gänzlich falsch an. Für sie ist klar, dass die neue Platte so anders klingt, weil sie in einer gänzlich anderen Situation entstanden ist – statt einer toxischen Trennung, aus der sich die Sängerin hinauskämpft, und The 1975-Sänger Matty Healy als ”Smallest Man Who Ever Lived” zu bezeichnen (so zumindest der Konsens), feiert sie ihre gesunde Beziehung zu Kelce und dessen “Redwood Tree”. Statt einer krassen Kampfansage wie “thanK you, aIMee” gegen Kim Kardashian, macht sie klar, dass sie die Intrigen der Charlie XCX als amüsant und fast schon “Actually Romantic” empfindet.
Zwischen Ophelia und Josephine Baker
Dass da kein Platz für die todtraurigen Dramen vergangener Alben ist, scheint für die Fans offensichtlich und deswegen gönnen sie ihr, dass viele der Songs davon erzählen, die Tiefen des Lebens überwunden zu haben und eben nicht “The Fate of Ophelia” zu durchleben, die in Shakespeares Hamlet von der Männerwelt verrückt gemacht wird und daraufhin ertrinkt, sondern erfolgreich "The Life of a Showgirl” meistert, das als gestandene, abgeklärte Frau über allem Negativen, dem Hass und der Missgunst steht, die das Leben im Popzirkus mit sich bringt.
Die Wahrheit liegt vielleicht irgendwo dazwischen. Subjektiv können die Fans und Kritiker TLOAS ja ohnehin ganz so empfinden, wie sie das eben tun, sollten sich aber wohl auch von der Vorstellung lösen, dass Taylor Swift ihnen ein weiteres Album “schuldig” wäre, das dieselbe Energie und Wirkung hat, wie sie die gesamte Eras-Tour in den letzten Jahren versprühte. Dass man Erwartungen, aber eben keine Ansprüche an ein Album und eine Künstlerin stellen kann. Dass die Sängerin ihren Fans und Hörern nicht liefern muss, was diese verlangen, sondern, dass sie allesamt irgendwann Fans oder Hörer wurden, weil Taylor Swift ihnen durch ein Lied, Album oder ihr künstlerisches Schaffen allgemein etwas gab, was für sie mehr als ein bisschen Musik war.
Und falls der eine oder die andere dennoch der Meinung ist, dass Taylor Swift mit diesem Album klargestellt hätte, dass Donald Trump, Kanye West und all die anderen Hater, die schon immer davon redeten, wie untalentiert, abstoßend und in sonst einer Weise schlecht sie in Wahrheit doch wäre, Recht gehabt hätten... hey, that’s the life of a Showgirl...