Arbeitnehmern zu helfen steht nicht gerade weit oben auf der Prioritätenliste von Calimar White.
Ein TikToker gibt sein Unternehmen als Behörde, die Chefs auf ihr Fehlverhalten gegenüber Arbeitnehmern aufmerksam machen soll, richtet damit aber vor allem großen Schaden an.
Die Macht des Klemmbretts
Wir alle haben uns doch schon mal gedacht, dass es eigentlich nicht mehr als eine Warnweste und ein Klemmbrett braucht, um alles tun und lassen zu können was wir wollen.
Es gab bereits mehrere Experimente verschiedenster Content Creator, die bewaffnet mit einem Stück Plastik, auf dem ein Dokument angebracht war, kostenlos in Kinos, Schwimmbäder und hinter die Kulissen von Freizeitparks gelangten – einfach nur weil sie durch ihre Requisiten die nötige Autorität ausstrahlten und echte Mitarbeiter glaubten, sie wüssten schon, was sie da täten.
Doch was, wenn jemand die Wirkung dieses schlichten Büroartikels dazu nutzt, um Menschen wirklich zu schaden und vielleicht sogar ihr Leben zu zerstören?
Eine Behörde, die gar keine ist
Der Influencer Calimar White, online als Agent Ratliff bekannt, inszeniert sich seit Monaten als selbsternannter "Arbeitsplatz-Inspektor". Mit seinem Unternehmen OCDA mischt er sich in betriebliche Abläufe ein, tritt mit übertriebener Autorität auf und produziert virale Videos – oft auf Kosten der Betroffenen und zur Unterhaltung seiner fast 1,3 Millionen Follower. Was als humorvoller Streich zu Verbesserung von Arbeitsatmosphären präsentiert wird, hat sich zu einem hochproblematischen Geschäftsmodell entwickelt, das mittlerweile sogar zu einer Klage gegen White geführt hat.
Ein Konzept, das auf bewusster Irreführung basiert: OCDA – laut White die "Occupational Cares Diversity Affairs" – gibt vor, Beschwerden von Arbeitnehmern an deren Arbeitgeber weiterzutragen. Whites Auftreten vor Ort wirkt jedoch bewusst wie das einer staatlichen Kontrollinstitution. Uniformähnliche Kleidung, formale Sprache, scharfes Auftreten und inszenierte Untersuchungen erzeugen den Eindruck eines offiziellen Besuchs durch eine Behörde.
Zugrunde liegen diesen Auftritten aber einfach nur "Bewerbungen". Menschen bezahlen White dafür, dass die OCDA etwa den unliebsamen Chef rügt oder ein wenig Unruhe stiftet – und grundsätzlich klingt das ja auch erstmal harmlos.
Wir alle haben uns doch schon mal gewünscht, dass der eigene Vorgesetzte von jemandem gerügt wird, der noch über ihm steht und in einigen Fällen hat White vielleicht wirklich dazu beigetragen, dass Arbeitgeber sich gegenüber ihrem Personal besser verhielten – dem gegenüber steht jedoch eine Vielzahl von Situationen, die das Gegenteil anrichteten oder sogar Leben ruinieren könnten.
Denn, diese bewusst erzeugte Mehrdeutigkeit der OCDA als Behörde ist der Kern des viralen Erfolges den White mit seinem Unternehmen feiert, aber auch seiner größten Risiken.
Ungerechtfertigte Belästigungsvorwürfe
Konfrontiert mit White und seinem Unternehmen glauben Menschen, sich wirklich mit einer Behörde auseinandersetzen zu müssen, und stehen unter Stress, ohne zu wissen, dass es sich hier eher um einen Streich handelt. Dadurch wird White unverdienter Weise Autorität beigemessen und seinen Worten Glauben geschenkt, die allerdings nie auf wirklichen Untersuchungen basieren, sondern auf den Aussagen seiner Kunden.
Bezahlt jemand White, dafür, dass er vor den Augen aller Mitarbeiter so tut, als wäre es eine behördliche Anweisung, die Mittagspausen zu verlängern, entsteht schnell der Eindruck, dass die Pausen bisher tatsächlich kürzer waren, als den Mitarbeitern zuständen – was einen enormen Vertrauensbruch im Arbeitsverhältnis bedeuten könnte.
Während sich eine solche Situation vielleicht noch schnell aus der Welt schaffen könnte, sind Vorwürfe wie etwa, dass der Chef Mitarbeiterinnen sexuell belästigt hätte, ein deutlich schwerwiegenderes Problem.
Wurde ein solcher Vorwurf ohne triftige Beweise oder Gründe getätigt, lässt sich das damit einhergehende Gericht, egal wie wahrheitsgetreu es wirklich war, nicht mehr aus der Welt schaffen und sich sogar auf der Privatleben der Beschuldigten auswirken, während Whits Kunden vollständig anonym bleiben.
Damit verwischt White systematisch die Grenzen zwischen Comedy, Aktivismus und Manipulation. Sein Konzept lebt weniger von echter Aufklärung als von Schockmomenten, öffentlicher Bloßstellung und der emotionalen Überrumpelung der Beteiligten.
Erste juristische Gegenwehr
Die Klage der Firma Holmes Building Materials, Inc. und eines Supervisors war daher eine absehbare Konsequenz und nur eine Frage der Zeit.
In dem betreffenden Video tritt White wieder so auf, als sei er ein behördlicher Vertreter, und konfrontiert Mitarbeiter und Führungskräfte aggressiv. Laut Klageschrift führte sein Verhalten zu Chaos, Stressreaktionen und unmittelbarer Irritation bei den Anwesenden.
Vorgeworfen werden White unter anderem Verleumdung, Freiheitsberaubung und Belästigung sowie die Straftat, gezielt eine behördliche Identität zu imitieren, um Zutritt und Autorität zu gewinnen.
White bestreitet zwar, jemals behauptet zu haben, OCDA sei eine echte Behörde, doch diese Verteidigung wirkt angesichts der bewussten Inszenierung wohl wenig überzeugend.
Ein ernsthafter Präzedenzfall
Die laufende Klage könnte weitreichende Folgen haben. Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass Whites Verhalten den Eindruck einer Behörde erweckt oder reale rechtliche Werte verletzt hat, könnte dies große Einschränkungen für ihn und ähnliche Content-Modelle bedeuten.
Vielleicht müssen – zumindest im vorliegenden Fall – sogar Kundendaten herausgegeben werden, so dass das Unternehmen erfährt, welcher Mitarbeiter für den Besuch durch die OCDA verantwortlich ist und diesen dafür zur Rechenschaft ziehen.
Wird eine solche Forderung publik, wäre es durchaus vorstellbar, dass sich weitere Vorgesetzte und Unternehmen, die von Whits Besuchen betroffen waren, auf diese Rechtsprechung berufen und ebenfalls Einblick in die Daten rund um ihren Fall haben wollen.
Letztlich bleibt nicht nur die Frage, ob wir einem Klemmbrett viel zu viel Wirkung zugestehen, sondern auch die, ob unter dem Deckmantel des Arbeitnehmerschutzes Arbeitsverhältnisse, Unternehmen und Existenzen gefährdet werden dürften, nur weil jemand wie Calimar White sich sein Leben dadurch finanziert, dass er Vorgesetzten Dinge vorwirft, die niemals verifiziert werden, aber das Leben der Beschuldigten komplett ruinieren könnten.