„Für euch geht der Stream aus und ihr existiert weiter“: Streamer Zarbex und die Objektpermanenz

Wie unter Abstumpfung und Anonymisierung der einzelne Mensch verloren geht.

Zarbex mit Zuschauern
Ein Streamer und seine einheitliche Masse an Zuschauern | © Zarbex

Den meisten Menschen begegnen im Alltag immer wieder Personen, mit denen sie nur oberflächlich und kurz interagieren, bevor beide wieder getrennte Wege gehen. Dabei ist die Erkenntnis des eigenständigen Lebens des Gegenübers auch zentral für den adäquaten Umgang mit ebenjenem.

Die daraus resultierenden und meist unterbewussten sozialpsychologischen Konsequenzen werden zu einem noch interessanteren Betrachtungsobjekt, wenn sich Personen täglich stundenlang mit wechselnden Mitgliedern einer solch anonymen Masse austauschen – so etwa große Streamer auf Twitch und YouTube.

Zarbex und die Individualität seiner Zuschauer

Ein jüngeres Beispiel markiert der deutsche Twitch-Streamer Zarbex, bürgerlich Maik, welcher vor einigen Jahren zwar als Online-Meinungsblogger startete, inzwischen aber einer der erfolgreichsten, deutschen Streamer ist. Auf der Plattform Twitch konnte er sich aufgrund seiner ungeschönten Ausdrucksweise und offenen Art gegenüber seinen Zuschauern rasch einen Namen machen.

Während er Games zockt oder die YouTube-Videos seiner Kollegen kommentiert, können im Livestream-Chat, Nachrichten an ihn geschrieben werden. Durch das Vorlesen und Reagieren auf diese Nachrichten unterhält sich Zarbex mit seinen Zuschauern.

Erfundene Internetnamen ohne Profilbild, völlig anonym, lassen die Chatnachrichten zunächst wie reine Masse erscheinen. Unterbewusst weiß Maik, dass hinter jeder Nachricht ein echter Mensch steckt – erst beim bewussten Nachdenken wird ihm die Individualität seiner Zuschauer so richtig klar.

So beschrieb er in einem Stream im Oktober 2025 seine Reaktion:

„Aber ihr seid alles kleine Menschen, die alle 'n eigenes Leben haben, das finde ich richtig süß. Ihr seid alles kleine Menschen und ihr habt so 'n richtiges Leben und 'n Bewusstsein und ihr macht so Sachen... [...] Für euch geht der Stream aus und ihr existiert weiter.“

Parasoziale Massenunterhaltung

Psychologisch lässt sich das Phänomen mit der Objektpermanenz verbinden. Also dem Verständnis, dass Menschen auch außerhalb der eigenen Wahrnehmung weiterexistieren. Im digitalen Kontext wird dies häufig herausgefordert, da Nutzernamen und Avatare schnell die Illusion erzeugen, das Gegenüber existiere nur zum Zwecke der Interaktion mit einem selbst.

Philosophisch ist das Phänomen unter dem Aspekt der Theory of Mind interessant, unter der jeder Akteur die Fähigkeit hat, anderen Bewusstsein und Intentionalität zuzuschreiben. In den für Influencer typischen parasozialen Beziehungen verschwimmen diese Zuschreibungen, da individuelle Intentionen in der Masse von Kommentaren oder Nachrichten untergehen.

Die Erkenntnis, dass andere Internetnutzer ohne einen selbst fortbestehen, markiert einen Moment der Rehumanisierung in einem entpersonalisierten Kommunikationsraum. Sie zeigt, wie digitale Plattformen bekannte kognitiv-empathische Mechanismen zwar nicht aufheben, jedoch in neuen Maßstäben präsentieren.

Adrian Gerlach

Adrian ist fasziniert von Games aller Alters- und Qualitätsklassen. Zeitmangel bereitet ihm diese Interessensvielfalt trotzdem nicht; man kann ja im Schlaf weiter träumen....