1. Ein einfacher Unfall
Gewinner der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen von Cannes 2025, „Ein einfacher Unfall“ ist der neueste Akt künstlerischer Auflehnung des iranischen Regisseurs Jafar Panahi – ein packender Thriller, durchzogen von scharfer politischer Kommentarkraft. Heimlich und ohne offizielle Genehmigung in Iran gedreht, verwandelt der Film Panahis Kritik am Autoritarismus in eine fesselnde, hochspannende Erzählung.
Im Zentrum steht ein ehemaliger politischer Gefangener, der gemeinsam mit anderen Opfern staatlicher Folter einen Mann entführt, den sie für ihren einstigen Peiniger halten – entschlossen, Gerechtigkeit oder Rache zu üben. Es folgt eine klaustrophobische nächtliche Fahrt in einem Lieferwagen, während die Entführer mit Zweifeln, Schuld und moralischen Fragen ringen: Ist Vergeltung gerechtfertigt? Und haben sie wirklich den Richtigen? Panahi arbeitet mit nicht-professionellen Darsteller:innen, deren Spiel eine erschütternde Authentizität erzeugt – die Anspannung, die Angst und die moralischen Konflikte im engen Fahrzeug sind fast greifbar, durchzogen von Momenten schwarzen Humors und philosophischen Diskussionen.
Als Thriller liefert Ein einfacher Unfall nervenzerreißende Spannung und moralische Ambivalenz in perfekter Balance. Als politisches Statement aber entfaltet er noch größere Kraft: Panahi, selbst mehrfach inhaftiert und mit Berufsverbot belegt, nutzt die Handlung als Allegorie für den Kreislauf von Gewalt, Schuld und Repression im Iran. Schon das bloße Entstehen dieses Films ist ein Akt des Widerstands – und diese rebellische Energie durchdringt jede Einstellung.
Koproduziert von Les Films Pelléas (Frankreich), bleibt Panahi seiner unverkennbaren Handschrift treu: lange, unbewegte Einstellungen in beengten Räumen, eine Grenzauflösung zwischen Fiktion und Realität, die das Publikum zu Mitwissern und Mitverantwortlichen macht.
Wenn im Morgengrauen schließlich das Licht durch die Windschutzscheibe fällt, hat Ein einfacher Unfall mehr geleistet als nur einen fesselnden Film: Es ist eine brennende Anklage gegen Brutalität und Ungerechtigkeit, ein Werk von mutiger Direktheit und seltener moralischer Tiefe.
Panahi zeigt sich hier so furchtlos, politisch und menschlich wie nie zuvor – das Ergebnis ist schlichtweg außergewöhnlich.
| © Les Films Pelléas