Sie töten, lügen und betrügen – und trotzdem haben wir irgendwie Mitleid mit ihnen. Hier erfährst du, warum es so schwer ist, einige Videospielschurken zu hassen.

In der Welt der Videospiele gibt es nur wenige Charaktere, die die Spieler so sehr in ihren Bann ziehen wie ein gut geschriebener Bösewicht.
Während einige Bosse nur dazu da sind, um besiegt zu werden, verschwimmen bei anderen die Grenzen zwischen Niedertracht und Empathie, sodass es zu emotionalen Konflikten kommt, die noch lange nachwirken, nachdem man sie erledigt hat.
Um dem Phänomen näher auf den Grund zu gehen haben wir uns die Frage gestellt: Was macht einen Videospiel-Bösewicht wirklich sympathisch?

Disclaimer: Schurken sind per se subjektiv. Genau wie bei Fragen der Moral werden die Meinungen über Charaktere immer auseinandergehen. Das Folgende ist weder eine persönliche Rangliste noch eine Liste meiner Lieblingsschurken, sondern ein Überblick über die Eigenschaften, die sie laut öffentlichen Diskussionen und Analysen sympathisch machen.
Wenn du eine Figur anders wahrnimmst, kannst du deine Meinung gerne in den Kommentaren mitteilen!
Merkmal 1: Verstehen, was sie antreibt
Eines der wichtigsten Merkmale eines sympathischen Bösewichts ist, dass man seine Beweggründe versteht, auch wenn man sie nicht billigt.
Die überzeugendsten Antagonisten handeln nicht aus purem Bösesein.
Die wirkungsvollsten Antagonisten sind stattdessen diejenigen, deren Hintergrundgeschichte emotional dargestellt wird, deren Beweggründe einer moralischen Logik folgen und deren Handlungen unbequeme, aber zum Nachdenken anregende Fragen aufwerfen.
Bei dieser Art des Geschichtenerzählens geht es häufig um moralische Grauzonen – um diese „Trolley-Problem“-Szenarien, bei denen jede Option schmerzhaft ist.
Betrachten wir z.B. Saren aus Mass Effect. Für ihn ist ein Bündnis mit den die Galaxie zerstörenden Reapern eine mögliche Erlösung. Er sieht es nicht als Verrat.
Ein weiteres Beispiel ist Arthas Menethil aus Warcraft III, der eine infizierte Stadt abschlachtet, um eine Seuche aufzuhalten, und nicht, um Macht zu erlangen.
Ihre Entscheidungen sind brutal, aber nicht irrational.

Auch die Fireflies aus The Last of Us stehen vor einem moralischen Dilemma: Sie müssen entscheiden, ob es wert ist ein immunes Mädchen zu opfern, um möglicherweise Millionen zu retten.
Ist das nun Schurkerei oder vielmehr Utilitarismus? Auf solche Fragen gibt es keine einfachen Antworten – und genau deshalb sind solche Antagonisten so populär.
Merkmal 2: Der Bösewicht als Held seiner eigenen Geschichte
Sympathische Bösewichte sind oft nicht durch und durch böse – sie stehen einfach in Opposition zum Helden. Häufig glauben sie an eine andere Lösung für dasselbe Problem.
Was auch hilft? Wenn Bösewichte Mitgefühl zeigen.
Ein Bösewicht, der enge Beziehungen hat oder loyale Leutnants, die ihn aufrichtig bewundern, gewinnt an Dimension.
Wenn ein Schurke um seine toten Untergebenen trauert, zeigt das emotionale Vielschichtigkeit. Es deutet darauf hin, dass sie keine reinen Monster sind, sondern Menschen, die Vertrauen aufgebaut, Respekt verdient und vielleicht sogar Liebe erfahren haben.
Merkmal 3: Bösewichte als Ergebnis einer Tragödie
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Hintergrundgeschichte. Oft werden Bösewichte als sympathischer empfunden, wenn sie gelitten haben – insbesondere, wenn ihr Leiden auf ein Trauma oder Unrecht zurückzuführen ist.Obwohl es manchmal als Klischee angesehen wird – wie der Waisenjunge, der in einer grausamen Welt zum Bösewicht wird – funktioniert es durchaus noch, besonders, wenn die Hintergrundgeschichte gut ausgearbeitet ist.
Wenn man zeigt, durch welche Ereignisse dein Charakter dem Bösen verfällt, erzeugt es bei dem Spieler Sympathie und Mitgefühl.
Ein Beispiel dafür ist Handsome Jack aus Borderlands 2. Nach dem er als Kind missbraucht wurde und später seine Frau und Tochter verlor, begann Jacks Abstieg in die Grausamkeit.

Flowey aus Undertale startet als unschuldiges Kind, das zu einer seelenlosen Blume geworden ist. Besonders in einem friedlichen Spielverlauf wird sein emotionaler Zusammenbruch richtig herzzerreißend – auch wenn er dabei weiter als Bösewicht agiert.
Und Josh Washington (Until Dawn) leidet unter tiefen psychischen Traumata, nachdem er seine Zwillingsschwestern durch einen missglückten Streich verloren hat. Seine Terrorherrschaft gegen seine Freunde entspringt Verzweiflung, nicht Sadismus. Er wollte nie jemanden töten – er wollte nur, dass sie denselben Schmerz fühlen wie er.

Merkmal 4: Selbsterkenntnis und Verantwortung übernehmen
Eine weniger offensichtliche, aber ebenso wirkungsvolle Zutat für Sympathie ist Selbsterkenntnis. So gewinnen manche Schurken Respekt, indem sie ihre Fehler eingestehen oder sich weigern, diese mit leeren Ausreden zu rechtfertigen.
Sie stellen sich selbst in Frage. Sie sind nachdenklich und gestehen sich manchmal (oft in Todesszenen) sogar ein, dass sie sich geirrt haben.
Kreia (KOTOR II) ist ein Paradebeispiel dafür. Sie lehnt einfache Gegensätze von Gut und Böse ab, übt Kritik an Jedi und Sith gleichermaßen und offenbart schließlich ehrlich ihre Absichten.

Ihre Ideologie ist radikal, aber nicht heuchlerisch. Wie Eurogamer es ausdrückt, verkörpert sie „die Grauzonen der Sith Lords“.
Schurken wie Kreia finden Anklang, weil sie sich ihrer Rolle bewusst sind. Sie mögen im Unrecht liegen, aber sie sind zumindest ehrlich, wenn es um ihre Überzeugungen geht.
Merkmal 5: Bösewichte die iconic sind
Selbstverständlich müssen nicht alle Schurken sympathisch sein. Manchmal reicht es, wenn sie Kultstatus haben, unterhaltsam sind oder einfach nur richtig gut darin, böse zu sein.
Der Joker, insbesondere in der Arkham-Serie, ist ein gutes Beispiel dafür. Er scheint jegliche moralischen Werte verworfen zu haben – und doch lieben die Fans sein düsteres Charisma.
Das Gleiche gilt für GLaDOS aus Portal, die mit ihren wortkargen Drohungen und ihrem sarkastischen Humor zu einem der am häufigsten zitierten Antagonisten in Spielen geworden ist.

Manchmal ist ein Bösewicht allein durch seine Fähigkeiten überzeugend. Wenn sie genauso fähig sind wie der Held - oder sogar noch fähiger -, respektieren wir sie.
Vaas Montenegro (Far Cry 3) beispielsweise fesselt als durchgeknallter Antagonist mit seinem legendären „Definition von Wahnsinn“-Monolog. Weil niemand weiß, was er als Nächstes tun wird, dominiert er jede Szene und stiehlt dem Protagonisten regelmäßig die Show.

Merkmal 6: Menschliche Eigenschaften, Stärken und Schwächen
Der Kern eines jeden großen Schurken ist seine Menschlichkeit (Metaphorisch gemeint. Nicht jeder von ihnen muss zwingend ein Mensch sein).
Was ich damit meine ist, dass niemand ausschließlich positive oder negative Eigenschaften hat – und das gilt auch für Bösewichte.
Wenn Charaktere sowohl mit Stärken als auch mit Schwächen geschrieben werden, wirken sie realer. Wir mögen sie immer noch verurteilen, aber wir haben auch Verständnis für sie.
Dutch van der Linde (Red Dead Redemption) ist ein gutes Beispiel dafür. Dutch ist sympathisch, weil er sich echt anfühlt.

Anfangs ist er ein Idealist, der für die Freiheit kämpft und seiner Bande treu ergeben ist, die er wie eine Familie behandelt. Sein Untergang ist nicht auf Boshaftigkeit zurückzuführen, sondern auf Angst, Stolz und Verzweiflung.
Während sich die Welt verändert, klammert sich Dutch an seine schwindenden Ideale und trifft immer rücksichtslosere Entscheidungen.
Trotz seiner Verbrechen vermitteln ihm seine Trauer, seine Widersprüche und seine zunehmend schwindenede Menschlichkeit das Gefühl, ein tragischer, fehlerhafter Mensch zu sein – und nicht nur ein hassenswerter Verbrecher.
Fazit
Letztendlich sind die besten Schurken nicht nur Gegner des Helden – sie fordern auch UNS heraus.
Sie zwingen uns, unsere Moralvorstellungen und Ideologien zu hinterfragen. Egal, ob wir mit ihnen mitfühlen oder sie widerwillig bewundern: Sie bleiben uns noch lange nach dem Abspann im Gedächtnis.
Welcher Videospiel-Bösewicht hat bei dir die stärksten inneren Konflikte ausgelöst? Schreib’s uns in die Kommentare!