
Das Jugendwort des Jahres... über die Jahre

Das Jugendwort des Jahres... über die Jahre
Seit 2008 ist das deutsche Jugendwort des Jahres ein Titel, welcher alljährlich unter der Leitung des Langenscheidt-Verlags vergeben wird. Der Marketing-Stunt für das verlagseigene Lexikon „100 Prozent Jugendsprache“ hat mittlerweile eine ungeahnte Eigendynamik angenommen, sodass die Abstimmung für viele Jugendlichen zu einem heiß diskutierten Thema geworden ist.
Dabei war das Konzept des jährlich ausgezeichneten Jugendworts oftmals recht kontrovers; einerseits, weil das Wort anfangs komplett durch eine verlagsinterne Jury bestimmt wurde und so als kaum repräsentativ für tatsächliche Jugendsprache galt. Andererseits, weil bei späteren Abstimmungen Manipulationsversuche keine Seltenheit blieben.
Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser bewegten Geschichte lohnt sich für uns von EarlyGame ein Rückblick auf die Begriffe, welche sich zu (Un)recht den Titel Jugendwort des Jahres sichern konnten. | © Langenscheidt

2008: Gammelfleischparty
Zunächst sei erwähnt, dass das Jugendwort des Jahres anfangs nicht unbedingt das meistverwendete oder beliebteste Wort im Sprachgebrauch der jüngeren Zielgruppe aufgreifen sollte. So wurde beispielsweise Gammelfleischparty (eine Bezeichnung für Ü30-Partys, welche auf den Gammelfleischskandal 2005 zurückgeht) von der Jury gekürt, weil das Wort allein durch seinen „Ekelfaktor“ einen „Stolperstein“ darstelle und damit linguistisch besonders hervorsteche. | © Vlada Karpovich via Pexels

2009: hartzen
Hartzen soll die Verbform zum Arbeitslosengeld II darstellen. Diese Form der Sozialhilfe bestand seit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auf Vorschlag der Kommission unter Leitung von Peter Hartz, oder kurz: Hartz IV. Hartzen bezieht (oder eher, bezog) sich jedoch nicht nur auf Arbeitslosigkeit, sondern auf das Führen einer insgesamt lustlosen, verlotterten Lebensweise. Diese Gleichsetzung von Arbeitslosigkeit und Faulheit erntete Kritik in den Medien. | © Towfiqu Barbhuiya per Pexels

2010: Niveaulimbo
So wie beim Limbo-Tanz der eigene Körper immer tiefer geneigt werden muss, wird mit diesem Wort ein ähnliches Absinken des zwischenmenschlichen Niveaus bezeichnet. Der Jury ging es bei Niveaulimbo vor allem um einen medienkritischen Ansatz: Lobend wurde hervorgehoben, dass damit „die gegenwärtige Entwicklung der TV-Landschaft im Hinblick auf ihre Unterhaltungsformate von den Jugendlichen kritisch beäugt und entsprechend kommentiert wird“. | © Jeremy Segrott per Wikimedia Commons

2011: Swag
Vom englischsprachigen Begriff „to swagger“, also wörtlich „umherstolzieren“, blieb in der deutschen Jugendsprache vor allem die mit einer solchen Tätigkeit verbundene Ausstrahlung hängen: Nachdem der Cover-Song Dreh den Swag auf des österreichischen Rappers Money Boy Ende 2010 viral ging, wurde Swag zum Begriff für eine auffallend lässige und charismatische Ausstrahlung; häufig auch ironisch verwendet. | © Money Boy per YouTube

2012: YOLO
Ein weiteres Wort, welches dem Rap entstammt: YOLO, Abkürzung für „you only live once“ (dt.: „man lebt nur einmal“), war als Lebensmotto im US-amerikanischen Hip-Hop weit verbreitet, erfasste das Internet jedoch erst in großem Maßstab, nachdem es im 2011er Song The Motto des kanadischen Rappers Drake Verwendung fand. Heutzutage ist die damit verbundene Kultur der glorifizierten Unvernunft für viele damalige Internet-Nutzer eine ebenso nostalgische wie unangenehme Erinnerung. | © Big Man Tyrone per YouTube

2013: Babo
Als Ende 2012 und Anfang 2013 der Song „Chabos wissen, wer der Babo ist“ des Rappers Haftbefehl die deutschen Charts eroberte, war Babo als Synonym für Boss eine Zeit lang nicht mehr aus der Jugendsprache wegzudenken. Aus der zazaischen Sprache Ostanatoliens, in der das Wort ursprünglich „Vater“ heißt, verbreitete es sich in der Region weiter und Haftbefehl selbst erklärte, er verstünde den Begriff als Synonym zu „Respektsperson“. In späteren Jahren allerdings fand Babo, wie so viele andere Jugendwörter zuvor, maximal noch sarkastisch Verwendung. | © STOKED Music per YouTube

2014: Läuft bei dir
Die Formulierung "Läuft bei dir" soll theoretisch ehrliche Anerkennung für eine Leistung ausdrücken, wird praktisch jedoch mindestens genauso häufig ironisch verwendet. Der ernsten Konkurrenz durch Gegekandidaten wie "fappieren" oder "Hayvan" in 2014 Jahr konnte sich "Läuft bei dir" wohl allerdings nur aufgrund koordinierter Manipulationsversuche widersetzen, weil diverse Online-Gruppierungen ihren Favoriten massenhaft und wiederholt einreichten. | © Allan Mas per Pexels

2015: Smombie
Smombie als Kofferwort der Wörter Smartphone und Zombie sollte angeblich Personen bezeichnen, die so sehr auf ihr Handy konzentriert sind, dass sie ihre Umgebung nicht mehr wahrnehmen. Der Begriff gilt als eines der umstrittensten Jugendwörter des Jahres; vor allem deshalb, weil er vor seiner Nominierung völlig unbekannt war. So wird spekuliert, dass sich die Jury das Wort selbst ausgedacht haben könnte. Eine solche Stereotypisierung von Jugendsprache und damit von Jugendlichen selbst steht eigentlich im Gegensatz zu dem, was der Verlag als Motivation hinter dem Jugendwort-Prozess nennt. | © Ono Kosuki per Pexels

2016: fly sein
Im Popkultur- und Jugendjargon gilt jemand als fly, der sich besonders abgefahren oder verrückt verhält. Allerdings eher im Popkultur- und Jugendjargon der späten 90er, wie etwa im 1998er Song „Pretty Fly (for a White Guy)“ der Punk-Rock-Band „The Offspring“. Jüngere Mitglieder der Jury waren deswegen 2016 zurecht gegen fly sein, wurden allerdings überstimmt, weil Gegenkandidaten wie isso – die in der unverbindlichen Abstimmung beliebter waren – für „zu unkreativ“ befunden wurden. | © The Offspring per YouTube
2017: I bims
Ein weiteres Jugendwort des Jahres, für das sich Rapper Money Boy zu verantworten hat: Seine bewussten grammatikalischen Fehlstellungen wie "Ich bin ein ... vom ... her" wurden Anfang der 2010er auf der Facebook-Seite „Willy Nachdenklich“ als Persiflage der mangelnden Rechtschreibpraxis in den Sozialen Medien zu „I bims ... vong ... her“ umgestaltet. Da diese Formulierungen nie, geschweige denn noch 2017, wirklich Teil der Jugendsprache waren, belegte I bims bei der unverbindlichen Online-Abstimmung zum Jugendwort den letzten Platz, worüber sich die Jury allerdings hinwegsetzte. Spätestens, als der Begriff 2018 in einem CSU-Wahlwerbespot Verwendung fand, war er offiziell out. | © lightkids, CSU Schwabach per nordbayern.de

2018: Ehrenmann/Ehrenfrau
2018 reichte es auf einem deutschen Schulhof oft schon, unter seinen Mitschülern ein paar Süßigkeiten zu verteilen – und schon war man ein Ehrenmann. Statt der ehemals sehr exklusiven Funktion, Personen mit einer edlen Gesinnung in höheren sozialen Schichten vom „einfachen Pöbel“ abzugrenzen, dient das Wort heute vielmehr dem Gegenteil: Jeder kann nun Ehrenmann oder Ehrenfrau sein, solange er oder sie seinen Mitmenschen etwas Gutes tut. | © Allan Mas per Pexels

2020: lost
Nachdem die Wahl 2019 aufgrund der Übernahme des Langescheidt-Verlags durch den Konkurrenten PONS ausfiel, sollte das bekannte Ritual 2020 neu aufgelegt werden: Zum ersten Mal wurde Platz 1 nicht durch die Jury, sondern eine öffentliche Abstimmung festgelegt. Allerdings wurden die eingereichten Vorschläge, welche dann zur Abstimmung standen, immer noch durch eine Jury auf Beleidigung oder Diskriminierung geprüft, sodass es der Publikumsfavorit H*rensohn nicht in Finale schaffte und letztendlich lost (einer Bezeichnung für verwirrtes, ahnungsloses Verhalten) unterlag. | © Polina Zimermann per Pexels

2021: Cringe
Die Abstimmung 2021 konnte Cringe für sich entscheiden; das englische Wort für „zurückschrecken“ wird mittlerweile synonym zu „fremdschamerregend“ verwendet. In diesem Jahr verlas Tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner auch zum ersten Mal die möglichen Kandidaten. Der trockene, regelrecht staatstragende Ton, in dem sie heute legendäre Sätze wie „Cringe ist das Gefühl, das Sie haben, wenn ich den folgenden Satz sage: Digga, wie fly ist eigentlich die Tagesschau, wenn sie mit Jugendwörtern flext“ vortrug, steigerte die Meme-Würdigkeit der Jugendwörter ins Unermessliche. | © tagesschau

2022: smash
Was im Englischen so etwas wie „zetrümmern“ oder „zerstören“ bedeutet, wird im Deutschen inzwischen eher wie „zusammenklatschen“ verwendet: Bekannt aus dem Format der „Smash or Pass“-Videos, bei der Online-Persönlichkeiten mit einem Wort bekanntgeben, ob sie mit der jeweils abgebildeten Person schlafen würden oder nicht, ist smashen nun ein durch die Fremdsprachlichkeit euphemistisierter Begriff für „Sex haben“. | © Andrea Piacquadio per Pexels

2023: goofy
Entgegen einer weit verbreiteten Fehlannahme lässt sich goofy nicht erst auf den gleichnamigen Cartoon-Charakter der Walt Disney Company zurückführen. Schon lange vor dessen erstem Auftritt in den 1930ern war „goof“ eine Bezeichnung für tollpatschige, unbeholfene Personen und goofy das passende Adjektiv dazu. Auf TikTok erlebte der Begriff 2022 eine Renaissance durch den Trend von „goofy ahh remixes“, also besonders albern klingenden Neuauflagen von Liedern, bevor er ein Jahr später als erstes deutsches Jugendwort des Jahres vor Publikum – nämlich auf der Frankfurter Buchmesse –verkündet wurde. | © Lucas Tentelier per Pexels

2024: Aura
Im deutschen Sprachgebrauch fand Aura zunächst in der Esoterik Verwendung, wo er eine für „hellsichtige“ Menschen sichtbare farbliche Ausstrahlung anderer Personen beschrieb. Ab 2023 wurden – wieder einmal ausgehend von TikTok – erst Sportler, dann andere Personen mit auffälligem Charisma für ihre „besondere Aura“ gelobt. Der Begriff wurde dann scherzhaft um weitere Konzepte ergänzt, darunter eine Messbarkeit durch Aura-Level und Aura-Punkte; oder das Aura-Farming, also das Aufbessern der eigenen Aura durch Kontakt mit anderen besonders charismatischen Individuum. Als diese Terminologie dann allerdings unironisch von sogenannten „Dating-Coaches“ übernommen wurde, verlor das Ganze seinen Reiz. So verschwindet Aura bereits wieder aus der deutschen Jugendsprache, um Platz für den nächsten Trendbegriff zu schaffen. | © Mikhail Nilov per Pexels

Die 20 nostalgischsten deutschen Werbungen der 2000er
Ein Ausflug in die Jugend und ihr Vokabular kann durchaus mal das eine oder andere, nostalgische Gefühl hervorrufen.
Wer sich mit EarlyGame zusammen aber auf einen deutlich wilderen Trip down the memorylane traut, der ist genau hier richtig bei den 20 nostalgischsten deutschen Werbungen der 2000er! | © YouTube
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