Unrealistisch, Aber Schön: Warum Geralt wie ein Tänzer kämpft

Who’s got the moves? Der Weiße Wolf! Geralts Schwertkampf in der „The Witcher”-Serie ist nicht realistisch – und genau das ist der Punkt. Wir erklären, wie Bücher, Gameplay und Mocap seinen ikonischen Stil geprägt haben.

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Geralt sollte ein Spin-off für ein Rhythmusspiel bekommen | © CD PROJEKT RED

Fantasie statt Funktion: Geralts unrealistische Technik

Wenn man in den The Witcher-Spielen Geralt von Riva dabei zusieht, wie er sein Schwert aus der Scheide zieht, kann man kaum nicht fasziniert sein. Er dreht Pirouetten. Er wirbelt durch die Gegend. Er tanzt mit Eleganz über das Schlachtfeld und schlitzt Monster und Menschen mit einem Stil auf, der sich wie ein Film anfühlt und beim Zuschauen zutiefst befriedigend ist.

Aber so ästhetisch und Geralts Bewegungen auch erscheinen mögen – mit realistischer Schwertkunst haben sie wenig zu tun.

Falls ihr mal ein echtes Beispiel für Geralts Kampfstil in Aktion sehen möchtet, bietet The Sword’s Path eine beeindruckende Videoserie, die seine Bewegungen nicht nur nachstellt, sondern sie auch im Vergleich zur realen historischen europäischen Fechtkunst analysiert.

Frag irgendeinen Experten für historische europäische Kampfkunst (HEMA) oder Schwertkampf – sie werden dir alle dasselbe sagen: So wie Geralt sich bewegt, würde man im echten Leben nicht lange überleben. Diese weiten Schwünge, theatralischen Drehungen und kunstvollen Bewegungen? In einem echten Schwertkampf würden sie dich für ein Dutzend Angriffe völlig ungeschützt dastehen lassen.

Geralt kämpft vielleicht wie ein Meister der Monsterjagd, aber er kämpft sicher nicht wie ein echter Ritter oder Fechter.

Das ist jedoch kein Designfehler, sondern eine bewusste Entscheidung. Geralts Kampfstil ist nicht dazu gedacht, die historische Realität widerzuspiegeln. Er ist so konzipiert, dass er den Spielern gerecht wird und auf die Bedürfnisse eines Videospiels abgestimmt ist.

Im folgenden Artikel gehen wir der Frage nach, was hinter dem besonderen Kampfstil der Witcher-Spiele steckt.

Der "Witcher Stil"

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Einige der Kampfstile, die im ersten Witcher-Spiel zu finden sind | © CD PROJEKT RED

Geralts Kampftechnik ist zwar größtenteils eine Fantasiekreation, aber sie ist auch von historischen Schwertstilen inspiriert. Welche das genau sind, bleibt jedoch offen für Interpretationen.

Tatsächlich basiert eine der merkwürdigeren Bewegungen von Geralt im ersten Spiel – bei der er das Schwert an der Klinge hält und mit dem Knauf zuschlägt, um die Wirkung auf den Hals des Gegners zu maximieren – lose auf einer historischen Technik, mit der gepanzerte Gegner angegriffen wurden. Doch selbst diese historische Inspiration wurde für ein maximales visuelles Flair stilisiert.

Es wird vermutet, dass der Stil von Techniken des deutschen Langen Schwertes aus dem 15. Jahrhundert inspiriert ist, wie sie in Fechtbüchern von Meistern wie Johannes Liechtenauer überliefert wurden.

Wie Maciej Kwiatkowski bestätigt, der für die Motion Capture von Geralt verantwortlich ist, kombiniert der endgültige Stil Einflüsse aus dem japanischen Kenjutsu, dem chinesischen Schwertkampf, philippinischen Kampfkünsten und sogar modernen, leistungsorientierten Stilen wie XMA (Extreme Martial Arts).

Das Ergebnis ist eine bewusste Fusion mehrerer Anforderungen: lose verwurzelt in realen historischen Kampfsystemen, aber stilisiert und übertrieben, um den Anforderungen einer übermenschlichen Figur gerecht zu werden.

Motions Close To Theater

Ein Großteil von Geralts markanten Bewegungen stammt von Stuntman Maciej Kwiatkowski, der in allen drei von CD Projekt RED entwickelten Witcher-Spielen als Motion-Capture-Darsteller für Geralt fungierte.

In einem Interview mit Gamepressure erläutert der Stuntman die Philosophie hinter dem einzigartigen Kampfstil der Figur.

Kwiatkowski selbst begann bereits als Teenager mit dem Schwerttraining und choreografierte gemeinsam mit Freunden frühe, von „The Witcher” inspirierte Bewegungen mit echten Stahlwaffen.

Motion Capture, sagt Kwiatkowski, ist dem Theater näher als dem Kino.

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Motion-Capture-Aufnahmen aus dem The Witcher 4-Trailer | © CD PROJEKT RED

Im Theater müssen die Schauspieler ihre Gesten und Emotionen so gestalten, dass sie auch das weit entfernte Publikum erreichen. Ähnlich ist es bei Third-Person-Spielen, in denen die Spieler die Figuren aus der Distanz betrachten.

Subtile, realistische Bewegungen, die auf einem Filmset funktionieren könnten, lassen sich beim Spielen nicht gut auf den Bildschirm übertragen. Aus diesem Grund sind Schwertschwünge, Leerlaufhaltungen und sogar Atemanimationen absichtlich übertrieben.

Damit sich zum Beispiel die Rüstung sichtbar mit Geralts Atem hebt und senkt, müssen die Schauspieler auf eine Weise tief und kräftig einatmen, die fast einer Hyperventilation ähneln könnte.

Solche ausladenden Gesten helfen nicht nur den Spielern, die Handlungen der Figur zu verstehen, sondern erleichtern auch die Arbeit der Animatoren, da es für sie einfacher ist, die Bewegungen einzugrenzen, als sie zu erweitern

„Wenn wir den Kampf von all den auffälligen Bewegungen, der Coolness und den Elementen, die vor allem Emotionen hervorrufen sollen, befreien und nur die optimierten, bis zum Äußersten utilitaristischen Bewegungen übrig lassen, dann sieht es einfach schlecht aus",

erklärt Kwiatkowski.

„Erstens ist das langweilig, zweitens ist es fast unsichtbar für den Spieler".

Mit anderen Worten: Der Realismus ist oft ungeeignet für die visuelle Kommunikation in einer Spielwelt.

Ein unmenschlicher Stil

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Die Nutzung von Hexer-Zeichen verändert den Kampfstil | © CD PROJEKT RED

Geralts Kampfstil ist nicht nur um des filmischen Flairs willen stilisiert, sondern auch eine bewusste Reflexion dessen, was er ist: Er ist nicht ganz menschlich.

Geralt unterliegt nicht denselben physikalischen Gesetzen wie der durchschnittliche Kämpfer. Dank seines mutierten Körpers bewegt er sich mit übernatürlicher Balance und Geschwindigkeit. Das ermöglicht ihm eine Kampfweise, die für normale Menschen unmöglich ist.

Dies ist von zentraler Bedeutung für die Darstellung seines Kampfes.

Fun Fact: Der berühmt-berüchtigte Track im Spiel namens „The Song of the Sword Dancer“ wurde tatsächlich von Geralts unverwechselbarem Kampfstil inspiriert. Musikalisch spiegelt er die Eleganz und den Rhythmus seiner anmutigen, tänzerischen Bewegungen im Kampf wider.

„Theoretisch haben sie kein Recht so zu funktionieren, wie sie es tun. Sie sollten schließlich gegen Gegner eingesetzt werden, die es gar nicht gibt, und das von Menschen, deren Fähigkeiten die eines normalen Menschen bei Weitem übersteigen.“

sagte Maciej Kwiatkowski im Interview über die Bewegungen des Hexers und verdeutlicht, wie schwierig es ist, surreale Kampfabläufe für ein Spiel zu simulieren.

Die Lösung für die Darstellung solcher Bewegungen, die der Betrachter in Echtzeit nicht vollständig sehen oder nachvollziehen kann, bestand also darin, sich an das Unnatürliche zu halten – einen Stil zu schaffen, der zu flüssig, zu präzise und zu unwirklich aussieht, um von einem sterblichen Schwertkämpfer ausgeführt zu werden.

Artistische Visionen und technische Fesseln

Ein Teil von Geralts Bewegungsstil ist natürlich auch aus einer technischen Notwendigkeit heraus entstanden.

Die Animation von Spielen ist mit Kompromissen verbunden: Begrenzter Animationsspeicher, Reaktionsfähigkeit auf Spielereingaben und Kameraperspektive beeinflussen die Darstellung von Kampfhandlungen.

Da die Spiel-Engine nur eine begrenzte Anzahl von Animationen verarbeiten kann, konzentriert sich das Animationsteam auf ausdrucksstarke, leicht lesbare Posen. Denn eine einzige Bewegung muss Absicht, Kraft und Emotion vermitteln.

Kwiatkowski gab zu, dass das Team mehr Realismus ins Spiel bringen wollte, beispielsweise in Form von Gewichtsverlagerung nach einem verpassten Schlag. Doch die technischen Beschränkungen zwangen sie zur Komplexitätsreduktion.

„Wir wollten, dass die Figur gelegentlich stolpert“, gab Kwiatkowski zu, „aber wir hatten schlichtweg nicht genug Platz für so viele Animationen.“

Die Bücher ebneten den Weg

Interessanterweise ist der stilisierte Schwertkampf von Geralt keine reine Erfindung der Spiele, sondern hat seine Wurzeln in den Originalromanen von Andrzej Sapkowski. Darin wird beschrieben, wie Geralt sich mit unheimlicher Geschmeidigkeit bewegt, Halbkreise vollführt, aus dem Rhythmus geratende Fußarbeit leistet und sich mitten im Kampf nahtlos dreht.In den Beschreibungen von Geralts Duellen wird oft betont, wie seltsam er sich bewegt. Er kämpft nicht wie ein Mann, sondern wie ein Tänzer, ein Schatten oder ein Geist. Selbst erfahrene Krieger sind in den Büchern davon irritiert, wie flüssig und unvorhersehbar er sich bewegt.Die Stilisierung ist also vor allem buch-getreu und nicht erfunden. Die Entwickler haben nicht nur einen auffälligen Stil erfunden, um zu unterhalten, sondern sie haben auch Geralts literarischen Charakter in kinetische Bewegung umgesetzt.

Gemacht für Monster, nicht für Männer

Geralts unorthodoxer Stil lässt sich teilweise durch seine Zwecke rechtfertigen. Hexer sind Monsterjäger und keine Soldaten.

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Ein Stil um Klauen zu vermeiden... Oder Federn im Haar | © CD PROJEKT RED

Hexer sind nicht für Schlachtfeld-Formationen oder Duelle zwischen Menschen ausgebildet, sondern für unvorhersehbare, chaotische Kämpfe gegen riesige Bestien, die über Klauen, Hörner, Gift und Magie verfügen.

Um Kreaturen mit dicker Haut und enormer Reichweite zu Fall zu bringen, führen Hexer große, schwungvolle Hiebe aus – und keine engen Fechttechniken. Sie verlassen sich auf Geschwindigkeit, Überraschung und magische Zeichen, um monströse Verteidigungsanlagen zu durchbrechen.

In diesem Zusammenhang sind die übertriebenen Drehungen und weiten Bögen nicht nur ein filmisches Vergnügen, sondern sie stehen auch für große, ausladende Angriffe, die unmenschliche Defensivmaßnahmen durchbrechen sollen.

Gegen Monster funktioniert das. Gegen Menschen? Nun, da funktioniert es nur, weil Geralt ein Übermensch ist.

Geralt der Tänzer

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Geralt wie ein Tänzer kämpft, weil er es muss:

Für das Motion Capture, für das Gameplay und für die Geschichte, die er erzählt. Es spiegelt seine Geschwindigkeit, sein Training und sein Anderssein wider.

Denn Geralts Kämpfe waren nie dazu gedacht, realistisch zu sein. Er sollte legendär sein.

...und natürlich leicht wiedererkennbar.

Laura Axtmann

Laura ist ein großer Fan von allem, was mit Fantasy zu tun hat. Seit ihrem ersten rosa DS Lite ist sie leidenschaftliche Nintendo-Anhängerin und begeistert von Franchises wie Zelda, Splatoon und Animal Crossing. Im Rahmen ihres Studiums der Kommunikationswissenschaft und Psychologie verfasste sie ihre Bachelorarbeit über Mediensucht. Ihre Kreativität lebt sie durch digitale Illustration aus....