„Für euch geht der Stream aus und ihr existiert weiter“: Streamer Zarbex und die Objektpermanenz

Ein Satz eines deutschen Influencers, der emblematischer für seinen Berufsstand nicht sein könnte.

Zarbex mit Zuschauern
Ein Streamer und seine einheitliche Masse an Zuschauern | © Zarbex

Den meisten Menschen begegnen im Alltag immer wieder Personen, mit denen sie nur oberflächlich und kurz interagieren, bevor beide wieder getrennte Wege gehen. Dabei ist die Erkenntnis des eigenständigen Lebens des Gegenübers auch zentral für den aqäquaten Umgang mit ebenjenem.

Die daraus resultierenden und meist unterbewussten sozialpsychologischen Konsequenzen werden zu einem noch interessanteren Betrachtungsobjekt, wenn sich Personen täglich stundenlang mit wechselnden Mitgliedern einer solch anonymen Masse austauschen – so etwa große Streamer auf Twitch und YouTube.

Zarbex und die Individualität seiner Zuschauer

Ein jüngeres Beispiel markiert der deutsche Twitch-Streamer Zarbex, welcher nach einem Anfang als Online-Meinungsblogger Mitte der 2010er Jahre aufs Livestreaming-Geschäft umgestiegen ist. Dabei konnte er sich aufgrund seiner ungeschönten Ausdrucksweise und offenen Art gegenüber seinen Zuschauern rasch einen Namen machen.

Während er Videospiele spielt oder die Videos anderer Leute kommentiert, können im Livechat anonym Nachrichten geschrieben werden, zu denen Zarbex dann möglichst unterhaltsame Antworten formulieren muss. Somit ist es wenig verwunderlich, dass er auch persönliche Unterstützung durch regelmäßigen Kontakt zu anderen Streamern oder KI-Chatbots sucht.

Sie scheinen für den Streamer mindestens unterbewusst einen Ausweg aus der Entpersonalisierung zu bieten, angesichts der Tatsache, dass die einzelnen Absender der Chatnachrichten mit erfundenen Internetnamen und Profilbild schnell in der Masse untergehen. So war folgendes für Zarbex in einem Stream im Oktober 2025 eine Realisation:

„Aber ihr seid alles kleine Menschen, die alle 'n eigenes Leben haben, das finde ich richtig süß. Ihr seid alles kleine Menschen und ihr habt so 'n richtiges Leben und 'n Bewusstsein und ihr macht so Sachen... [...] Für euch geht der Stream aus und ihr existiert weiter.“

Parasoziale Massenunterhaltung

Psychologisch lässt sich das Phänomen mit der Objektpermanenz verbinden; also dem Verständnis, dass Menschen auch außerhalb der eigenen Wahrnehmung weiterexistieren. Im digitalen Kontext wird dies häufig herausgefordert, da Nutzernamen und Avatare schnell die Illusion erzeugen, das Gegenüber existiere nur zum Zwecke der Interaktion mit einem selbst.

Philosophisch ist das Phänomen unter dem Aspekt der Theory of Mind interessant, unter der jeder Akteur die Fähigkeit hat, anderen Bewusstsein und Intentionalität zuzuschreiben. In den für Influencer typischen parasozialen Beziehungen verschwimmen diese Zuschreibungen, da individuelle Intentionen in der Masse von Kommentaren oder Nachrichten untergehen.

Die Erkenntnis, dass andere Internetnutzer ohne einen selbst fortbestehen, markiert einen Moment der Rehumanisierung in einem entpersonalisierten Kommunikationsraum. Sie zeigt, wie digitale Plattformen bekannte kognitiv-empathische Mechanismen zwar nicht aufheben, jedoch in neuen Maßstäben präsentieren. Zarbex erhielt von seinen Zuschauern abschließend Zuspruch:

„'Damit kommt der menschliche Verstand nicht klar.' Ich schwöre, Digga, ich schwöre...“

Adrian Gerlach

Adrian ist fasziniert von Games aller Alters- und Qualitätsklassen. Zeitmangel bereitet ihm diese Interessensvielfalt trotzdem nicht; man kann ja im Schlaf weiter träumen....